Wer in den Genuss kommt, öffentlich vor anderen sprechen zu dürfen – sei es im Job, auf der Bühne oder im Livestream – der kommt unweigerlich auch in den Genuss von liebgemeinten Präsentationstipps. Liebgemeint ist schön und gut, der Sinn hinter der ein oder anderen Empfehlung, wie Präsentieren besser gelingen kann, ist oftmals aber fraglich. Und Fragezeichen tun sich tatsächlich auf. Kein Wunder bei „Tipps“ wie „Stell Dir Dein Publikum einfach nackt vor!“ 🤦♀️
Äh. Hä?
Damit sind wir auch schon bei meinem persönlichen Ranking der 3 dümmsten und sinnlosesten Präsentationstipps angelangt. Ich starte wie es sich gehört bei Platz 3:
PLATZ 3: Trink ein Glaserl! Das macht Dich locker
Sehr populär ist der wohlgemeinte „Tipp“ Alkohol vor dem Auftritt zu trinken. Ich sag einmal so, meistens ist’s kontraproduktiv.
Viele probieren das Glaserl vor der Performance aus, nur um festzustellen: nope, das mach ich nie wieder. Denn es ist ein Unterschied, ob ich lustig, locker und gut drauf sein will zu Hause beim Essen mit Freunden, beim Fortgehen in illustrer Runde oder ob ich verflixt noch mal zu 100% fokussiert sein muss auf das, was ich gleich vor versammelter Mannschaft erzähle.
Die wochen- oder tagelange Übung der eigenen Präsentation kann mit einem Bier davor zunichte gemacht sein 🍺
Bewusst locker zu sein, wenn Du beschwipst bist, ist nämlich verdammt schwierig. Lockerheit durch Alkohol kann in vielen Fehlern und peinlichem Auftreten enden. Ich zum Beispiel weiß mittlerweile: wenn ich ein halbes Glas Sekt trinke, spür ich das, und ich tendiere dazu, Sachen zu vergessen. Deswegen absolutes Alkoholverbot für mich vor Auftritten, danach gerne!
Absolutes No-Go: Du hast einen Interviewpartner und begrüßt ihn gleich einmal mit einer ordentlichen Fahne. Unprofessionell hoch zehn!
PLATZ 2: Sei fachlich und fall nicht auf!
Alter Schwede. Solche „Präsentationstipps“ machen mich richtig wütend ☠️
Denn genau solche Aussagen sind es, die vor allem noch unerfahrene Präsentatorinnen und Präsentatoren stark verunsichern. Niemals wirst Du Dich trauen, Du selbst zu sein, wenn Du das hörst, denn offenbar ist das auch gar nicht gewollt. Lieber alle gleich klingen lassen und den üblichen 0815 Standardbrei verzapfen als Deine Einzigartigkeit hervorzustreichen. Zum Kotzen! Verzeihung.
Wer diesen Rat gibt, ist sich offenbar nicht bewusst, dass Kommunikation einzigartig sein MUSS, um wirklich zu wirken. Präsentieren ist absolut individuell, niemand spricht wie Du, niemand hat dieselbe Stimme wie Du, niemand sieht aus wie Du, niemand bewegt sich wie Du, niemand lacht wie Du und so weiter. In der Art, in der wir uns präsentieren, verbinden wir uns auf emotionale Weise mit unseren Zuschauern und Zuhörern. Nichts ist wichtiger als die menschliche Verbindung. Gerade auch im Business!
Wer noch immer glaubt, fachliche Inhalte müssen trocken und monoton vorgetragen werden, hat nicht nur keine Ahnung, sondern bewirkt, dass Menschen unter Umständen kein Selbstvertrauen aufbauen können und nie Freude empfinden, vor anderen zu sprechen. Nicht aufzufallen bedeutet mit anderen Worten, füge Dich und Duck Dich. Wehe Du drückst Dich selbst aus!
PLATZ 1: Stell Dir Dein Publikum doch einfach nackt vor!
Der absolute Oberknüller ist der Tipp, sich sein Gegenüber nackt vorzustellen!
Ich frag mich, wem diese Vorstellung von viel nackter Haut bitte wirklich helfen soll, natürlicher zu sein oder flüssiger zu sprechen oder weniger aufgeregt zu sein. Ich hab noch nie auch nur eine einzige Person getroffen, bei der das geklappt hätte.
Visualisierung an sich ist super, ernsthaft. Sich mentale Bilder zu schaffen kommt aus dem Sport und lernst Du beispielsweise im Mentaltraining. Das kann Dir für’s Präsentieren sehr helfen, aber NICHT, wenn Du schon auf der Bühne stehst und loslegst. Und auch NICHT, wenn Du Dir BH’s und Boxershorts oder sonst etwas vorstellen sollst.
Sich Dinge zu visualisieren passiert in der Vorbereitung oder kurz vor dem Auftritt. Sich – während Du sprichst – alle nackig vorzustellen, würde Dir so viel Konzentration kosten, dass Du den Fokus verlierst und nicht mehr souverän sprechen kannst. Ausserdem: willst Du 20, 50, 120 Menschen, die Du noch nie gesehen hast, unbekleidet im Kopf haben? Noch unangenehmer, wenn Du Dein Gegenüber kennst 👙
Wie auch immer, wer Dir den Tipp gibt, Dir Dein Publikum nackt vorzustellen, mag Dich entweder nicht oder hat selbst noch nie etwas erfolgreich präsentiert. Behalte das im Kopf!
Und Du?
Welche fürchterlichen Präsentationstipps hast Du schon bekommen? Lass es mich gerne in den Kommentaren wissen. Du kannst natürlich auch gerne Tipps teilen, die Dir geholfen haben. Die Community und ich freuen uns 😃
PS: Meine Tipps, wie Du Nervosität vor Deinem Auftritt reduzieren kannst, liest Du HIER!